Wer hat mehr Klasse?
Sie kommen aus derselben Fabrik und teilen sich viele Komponenten. Unser Vergleichstest zeigt jedoch, daß ML 320 CDI und R 320 CDI trotzdem ganz unterschiedliche Charakterköpfe sind.
von
- Martin Braun
25. Januar 2006
Komfortabler Reisevan gegen Offroad-SUV
M-Klasse und
R-Klasse– der Traum aller Kostenmanager der Automobilbranche: zwei verschiedene Autos mit unterschiedlichem Zielpublikum, aber gefertigt in einer Fabrik in den lohnniedrigen Südstaaten der USA bei gleichzeitig hohem Anteil an Gleichteilen. Radaufhängungen, Allradantrieb, Räder, Getriebe, Differentiale, Motoren, Instrumente und andere teure Teile der Innenausstattung verwendet
Mercedes-Benzfür beide Baureihen. Können dabei überhaupt noch unterschiedliche Autos herauskommen?
Jawohl, denn bei genauerer Betrachtung gibt es in Wahrheit doch reichlich Unterschiede. Da ist vor allem die Bodengruppe, früher Chassis genannt. Bei ML und R jeweils eine selbsttragende Einheit aus Blechprofilen, aber ganz unterschiedlich. Bei der
M-Klasseerkennt man das Bemühen der Konstrukteure, Bodenfreiheit zu gewinnen. Die Bodengruppe der
R-Klassesieht anders aus: deutlich tiefer, eben wie bei einem reinen Straßenauto. Die Ziele waren flotteres Handling trotz noch größerer Außenlänge, dazu der Gewinn an Innenraumvolumen. Nimmt man bei beiden Autos Maß, erkennt man auch, daß die Mercedes-Leute ihre selbstgesteckten Ziele erreichen konnten: Mit der
M-Klasseist ein echtes Oberklasse-SUV entstanden, das sich auch im Gelände keineswegs vor der Konkurrenz fürchten muß.
Und die
R-Klassesteht nicht als künstlich tiefergelegter Geländewagen da, sondern glaubhaft als komfortbetonter und schneller Reisevan mit Schlechtwettereignung. Als geräumiger Selbstfahrer-Intercity macht der R 320 CDI jedenfalls eine ausgesprochen gute Figur. Die gegenüber der M-Klasse wesentlich flachere Frontscheibe läßt zwar ein etwas unsportliches Van-Fahrgefühl aufkommen, aber man sitzt gut und hoch. Keineswegs so kutschbockartig wie in den kleineren Vans à la
VW Sharan.
Preise und Ausstattungen
Scharen von Kindern hatte
Mercedes-Benzbei der Konzeption der R-Klasse offenbar nicht im Auge. Denn der R hat stets sechs großzügige Einzelsitze. Die verschwenden zwar objektiv gesehen viel Platz, machen aber das Konzept als Reiseexpress für vier bis sechs Erwachsene glaubhafter. Konsequenterweise ist die dritte Sitzreihe ebenfalls für Erwachsene vorgesehen, die hier ausreichend Raum vorfinden. Wegen des bei der kurzen R-Klasse etwas beschwerlichen Einstiegs nach ganz hinten sollten die dort Reisenden zumindest jung geblieben sein.
Das typische Reisegepäck einer Gruppe läßt sich in der kurzen
R-Klasseaber nur dann unterbringen, wenn man zu viert unterwegs ist. Dann gibt es herrlich nutzbare 970 mm Laderaumlänge. Holt man die genial einfach klappbaren Sitze der dritten Reihe aus ihrem Verließ im Boden, verbleibt fürs Gepäck nur noch ein schmales Fach von lächerlichen 350 mm Ladelänge. Wer wirklich zu sechst mit Gepäck verreisen will, sollte zur langen R-Klasse greifen, deren Heck sich um zusätzliche 240 mm streckt.
Sechs Zentimeter höher über der Fahrbahn rollt die Besatzung in der
M-Klasse. Die Sitzposition ist fast identisch, der Überblick aber wegen der steileren Frontscheibe und dem übersichtlicheren Heck besser. Im Fond genießen Erwachsene sogar noch 20 mm mehr Knieraum als in der R-Klasse. Als Reiseauto für kleinere Gruppen ist die M-Klasse also mindestens genauso gut geeignet. Jedenfalls, was das Platzangebot betrifft. Denn beim Federungskomfort zeigt sich, daß Mercedes bei der R-Klasse weniger Kompromisse eingehen mußte.
Betriebskosten und Garantien
Der höherliegende
ML 320 CDIfedert objektiv betrachtet sehr komfortabel. Wegen des höherliegenden Schwerpunkts ist er aber etwas straffer abgestimmt als die nur auf Straßenbetrieb ausgelegte R-Klasse. Die erfüllt die Erwartungen in Sachen Reisekomfort deshalb noch mehr als die M-Klasse. Auch der R verkneift sich in der Europa-Ausführung jedoch magenbelastendes Schwingen. Zu beiden paßt der hier wie da lieferbare Dreiliter-Turbodieselmotor aus europäischer Sicht nahezu perfekt.
Die deutlich spürbare Turbo-Verschnaufpause beim Anfahren verschmerzt man wegen der gegenüber einem leistungsgleichen Benziner geringeren Tankrechnungen hierzulande gerne. Zwischen ML und R ergeben sich dabei nur geringe Verbrauchsvorteile zugunsten des etwas niedrigeren Vans. Keine Unterschiede gibt es beim Allradantrieb. Hier wie da verteilt ein Zentraldifferential mit 50:50-Prinzip die Motorkraft paritätisch und unauffällig perfekt auf beide Achsen. Auch auf Schneefahrbahnen kann es der ML zunächst nicht besser. Seine Stunde schlägt, wenn die Situation dramatischer wird.
Zum einen hat er deutlich mehr Bodenfreiheit. Die 170 mm der R-Klasse sind für einen Pkw überdurchschnittlich, der ML bringt aber schon mit Stahlfederfahrwerk 40 mm mehr. Mit den Luftfedern als Extra kann die
M-Klassesogar auf bis zu 305 mm hochfahren, die R-Klasse auf 230 mm. Doch nicht nur die Bodenfreiheit macht den Unterschied. Die tiefliegenden Schürzen lassen die R-Klasse häßliche Narben davontragen, wenn man glaubt, sie als Geländewagen-Ersatz mißbrauchen zu können.
Technische Daten und Fazit
Ein Offroad-Pro-Paket mit Geländeuntersetzung und zwei Differentialsperren gibt es sowieso nur für die M-Klasse. Doch Mercedes hat vorgesorgt: Wer die Raumfülle des R mit der Geländetauglichkeit des ML kombinieren will, wartet bis September auf den 5,09 Meter langen
GLmit drei Sitzreihen. Auch er rollt vom kostengünstigen US-Fließband.
Fazit von AUTO BILD ALLES ALLRAD-Redakteur Martin Braun: Wer dachte, die neue R-Klasse werde eine M-Klasse mit Van-Karosserie, hat es sich zu einfach gemacht. Bei aller kostenorientierten Gleichteilestrategie hat Mercedes den eigenständigen Charakter eines schnellen Luxus-Reisevans auf die Räder gestellt, den auch ein überraschender Wintereinbruch nicht in die Knie zwingt. Gegenüber dem ML bringt der R zusätzlichen Raum und noch mehr Fahrkomfort. Die M-Klasse zeigt sich dafür als echter Offroader und Zugwagen noch vielseitiger.
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